Extremismus / Terrorismus

IS-Schreckensherrschaft in Sinjar, Irak
(Bildnachweis: Photo by Levi Clancy on Unsplash)

Extremismus und Terrorismus als empirische Phänomene haben sich in der akademischen Landschaft als multidisziplinäre und breit gefächerte Forschungsfelder etabliert. In weiten Teilen der Forschung werden sie komplementär gedacht und konzipiert. In den Disziplinen der Sozialwissenschaften bilden Extremismus und Terrorismus zentrale Schwerpunkte des Erkenntnisinteresses. Dieses sozialwissenschaftliche Interesse korrespondiert mit einer hohen sicherheitspolitischen Relevanz von Extremismus und Terrorismus als soziale Phänomene von großer Tragweite, da hierbei gewichtige Fragen der gesellschaftlichen Koexistenz und des Zusammenhalts, aber auch Fragen zur Gültigkeit und Akzeptanz des geltenden politischen Systems im Vordergrund stehen. Der normative Charakter dieser sozialen Perspektive hat weitreichende Konsequenzen für die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomenbereich „Extremismus/Terrorismus“. Nicht losgelöst von (meta-)theoretischen Ausrichtungen lassen sich im Wesentlichen zwei Forschungsstränge ausmachen: ein normativ-analytischer und ein empirisch-analytischer Strang. Erstgenannter repräsentiert eine Tradition, in der die zwei Phänomene objektiv zu benennen und definitorisch zu explizieren versucht wird. Der zweite Forschungsstrang zeichnet sich hingegen durch eine kritisch-reflexive und phänomenologische Sichtweise aus, in der die intersubjektiv erfahrbaren sowie die sozialhistorischen Kontexte des Phänomens hervorgehoben werden. Neben dieser erkenntnistheoretischen Einteilung lassen sich Extremismus und Terrorismus im Hinblick auf Fragen zu Herrschaft, Macht und Gewalt näher beleuchten. In diesem Zusammenhang sollte ein wesentlicher Aspekt der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Extremismus und Terrorismus nicht unerwähnt bleiben, nämlich Legitimität als ein normenreferenzielles Konstrukt. Fragen nach legitimen Weltbildern und Herrschaftsmodellen, nach legitimer Akteurschaft oder nach legitimer Gewaltanwendung ermöglichen einen umfassenden Blick auf distinkte soziohistorische Entwicklungen der Phänomenbereiche.

Eine weitere Herangehensweise, die es zu erwähnen gilt, ist die komparatistische Perspektive. Hierbei steht zumeist das liberal-demokratische Ideal in Abgrenzung zu den diversen Extremismen bzw. extremistischen Weltbildern. In diesem Kontext werden vordergründig herrschaftstheoretische Modelle und Ansätze fokussiert, wie z. B. Demokratien, Autokratien, totalitäre Systeme oder Theokratien. Auch dürfen die diversen empirischen Ausprägungen des Extremismus nicht unerwähnt bleiben, wie etwa der Rechtsextremismus, der Linksextremismus (auch: „linke Militanz“) und der religiös begründete Extremismus (auch: „Islamismus“). Erkenntnisgewinne im jeweiligen empirischen Phänomenbereich finden derweil jenseits der universitären Forschung bzw. der Grundlagenforschung große Resonanz. Das anwendungsorientierte Paradigma hat aufgrund der oben erwähnten sicherheitspolitischen Relevanz weitreichende Auswirkungen. Insbesondere mit Blick auf Begründung und Ausführung extremistischer Gewalt werden terrorismusbezogene Konzepte als Erklärungsansätze herangezogen. Zahlreiche außeruniversitäre und sicherheitsbehördliche Institute und Einrichtungen tragen im besonderen Maße zur Wissensproduktion bei und verstärken damit naturgemäß die Dominanz der normativen Perspektive auf die Phänomenbereiche.

Im Rahmen der anwendungsorientierten Extremismus-Präventionsforschung treten pädagogische Konzepte vermehrt in den Vordergrund, weshalb auch die Intervention durch die Profession der Sozialen Arbeit thematisiert wird.

Schließlich sei an dieser Stelle noch auf die mehrdimensionale Ausprägung des Terrorismus hingewiesen. Verlässt man den deutschen bzw. den innereuropäischen räumlichen Kontext, so stehen terroristische Akteure bzw. Organisationen in unmittelbarem Zusammenhang mit transnationalen Konflikten und entstaatlichten Kriegen. Regionale Sicherheitsarchitekturen oder globale Konfliktzusammenhänge bilden dabei einen unverzichtbaren Rahmen.

Mit Blick auf den religiös begründeten Extremismus, sprich den Islamismus, lässt sich eine Reihe an Fragestellungen formulieren, die zentrale (und umstrittene) Aspekte des Gegenstandes betreffen. So erweisen sich bereits die terminologische Herleitung und die Frage der Begriffsdefinition als problembehaftet. „Islamismus“ als Begriff ist erst in den letzten ca. 20 Jahren aufgekommen und hat sich mehr oder weniger etabliert. Die Abgrenzung zu den etwas länger existierenden Begriffen wie „islamischer Fundamentalismus“ sind immer wieder Gegenstand von Diskussionen. So bleiben weiterhin wesentliche Fragen offen bzw. umstritten. Hier einige Beispiele: Handelt es sich beim Islamismus um den „politischen Islam“ oder um den „politisierten Islam“? In welcher Beziehung stehen Islam und Islamismus zueinander? Ist die politische bzw. die weltliche Komponente dem Islam inhärent? Oder wird der Islam verfälscht und für Machtzwecke missbraucht? Ist der Islamismus eine genuine Erscheinung der Moderne oder ideengeschichtlich die Fortgeltung des frühen Islam? Dies sind nur einige Fragen, die exemplarisch die Komplexität der Definition widerspiegeln.

Der erweiterte Blick auf den Phänomenbereich „Islamismus“ verdeutlicht eine große Vielfalt an Erscheinungsformen und Spielarten. Jenseits einer groben konfessionell begründeten Unterscheidung zwischen sunnitisch-islamistischen und schiitisch-islamistischen Gruppierungen werden diverse Strömungen dem breiten Spektrum des Islamismus zugerechnet. Allein für den sunnitischen Islamismus können etliche Ausprägungen angeführt werden, so z. B. diverse Ausdifferenzierungen der Muslimbruderschaft oder mannigfaltige salafistische Gruppierungen. Oft können diese Gruppierungen – abgesehen vom Namen – nicht trennscharf voneinander unterschieden werden. Und noch öfter wird der Aspekt der Gewaltbereitschaft als Wesensmerkmal herangezogen, um den extremistischen Gehalt zu bestimmen. Hier lässt sich der Jihadismus als prominentes und aktuelles Beispiel hervorheben. Diese Diversität des Islamismus spiegelt zum einen die Diversität des Islams wider, zum anderen resultiert sie aus einer dynamischen und heterogenen sowie wandlungsfähigen soziopolitischen „Kultur“, die Idealtypen kurzlebig hält.

Der Islamismus in Deutschland steht zwar in Wechselwirkung mit den Entwicklungen in der arabisch-islamischen Welt, gleichwohl lässt sich eine eigentümliche deutsch-europäische Entwicklung feststellen, die besondere Aufmerksamkeit erfordert. Jenseits gewaltbereiter jihadistisch-salafistischer Gruppen kann eine evolutionäre Dynamik beobachtet werden, die neue Strömungen hervorbringt. Deren Grenzen sind fließend – der jugendkulturelle Aspekt ist dabei nur eine evolutionäre Ausprägung.

Im Gegensatz zum Islamismus ist der Rechtsextremismus ein soziopolitisches Phänomen deutscher Geschichte. Rechtsextremismus ist ein aktuell im wissenschaftlichen Diskurs kontrovers diskutiertes Konzept, das auf keiner universell anerkannten Definition basiert. Eine der Schwierigkeiten, zu einem konzeptuellen Konsens zu finden, liegt darin begründet, dass Rechtsextremismus kein ideologisch genau definiertes und in sich homogenes Konzept darstellt. Vielmehr tritt er in unterschiedlichen ideologischen Facetten und Ausprägungen auf. Oftmals sind rechtsextremistische Haltungen u. a. von einem ausgeprägten Nationalismus, der Herabwürdigung von Menschen anderer Nationen, völkischen Ideologien, der Ablehnung von Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens, der Verherrlichung des Nationalsozialismus und der Ablehnung des Rechtsstaats und seiner Institutionen gekennzeichnet. Rechtsextremismus ist vielfach zusätzlich beeinflusst von sozialdarwinistischen, chauvinistischen oder rassistischen Ideologien.

Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus stellen keine Synonyme dar. Rechtsradikale Haltungen sind am äußersten rechten politischen Rand zu verorten, befinden sich jedoch innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Rechtsextreme Haltungen lassen sich andererseits ebenfalls dem äußersten rechten politischen Rand zuordnen, lehnen aber die Verfassung sowie jede Form freiheitlich-demokratischer Prinzipien kategorisch ab.

Rechtsextremismus und daraus resultierende rechtsextremistische Gewalt stellen seit Jahrzehnten ein relevantes Phänomen in Deutschland dar. Insbesondere mit der ab 2011 begonnen Aufdeckung der Taten des „Nationalsozialistischer Untergrunds“ (NSU), haben die Themen „Rechtsextremismus“ und „Rechtsterrorismus“ deutlich an politischer, gesellschaftlicher und medialer Aufmerksamkeit gewonnen. Laut Verfassungsschutzbericht 2018 werden ca. 24.100 Personen in Deutschland als rechtsextrem eingestuft, mehr als jeder Zweite (ca. 12.700 Personen) gilt als gewaltorientiert. Zudem stieg im Jahr 2018 die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr an (im Vergleich: 2017: 1.054 Straftaten; 2018: 1.088 Straftaten). Wie auch in den vergangenen Jahren bleibt Fremdenfeindlichkeit das Hauptmotiv bei der Mehrheit der rechtsextremistisch motivierten Gewaltdelikte. Zusätzlich werden diese Straftaten von Islamophobie und Antisemitismus geleitet. Der Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) im März 2019 verdeutlicht das Mobilisierungspotenzial, welches von fremdenfeindlichen und islamophoben Ideologien ausgeht. Weitere Opfer von rechtsextremistischer Gewalt waren in den vergangenen Jahren – national und international betrachtet – Menschen, die politisch aktiv waren und sich explizit gegen rechtsextremistische Haltungen aussprachen (Tötungsdelikte, wie z. B. der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 oder der an Jo Cox, Mitglied der britischen Labour Party, im Juni 2016) und deren Ideen und Ausrichtungen von der rechtsextremistischen Szene zutiefst verachtet werden. Die Anschläge im Regierungsviertel von Oslo und auf das Ferienlager der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Partei Norwegens im Juli 2011 sind weitere Beispiele für rechtsextremistische Tötungsdelikte der zurückliegenden Jahre.

Im Blickpunkt der wissenschaftlichen Forschung bezüglich des Themas „Rechtsextremismus“ sind u. a. rechtsradikale Demonstrationen, die von rechtsextremistischen Sympathisanten zur Akquirierung genutzt werden, sowie gewaltbereite Bürgerwehren und die internationale Vernetzung der rechtsextremistischen Szene. Weitere Forschungsaktivitäten betreffen die Art, den Umfang und die Auswirkung rechtsextremistischer Propaganda – dazu zählt auch die Online-Mobilisierung.

Eine weitere für den deutschen Kontext relevante Spielart des Extremismus ist der Linksextremismus bzw. die sogenannte linke Militanz. Im Gegensatz zu den erstgenannten Extremismusformen wird der Linksextremismus eher stiefmütterlich behandelt und sollte im Rahmen der KFIBS-Extremismus/Terrorismus-Forschungsgruppe entsprechend mehr Beachtung finden. Dieser eher skizzenhafte Aufriss zum Extremismus und Terrorismus kann nur ein erster Schritt sein, um die komplexen und vielschichtigen Zusammenhänge der Phänomene zu thematisieren. Vor diesem Hintergrund hat sich die KFIBS-Forschungsgruppe „Extremismus/Terrorismus“ zum Ziel gesetzt, die verschiedenen Erscheinungsformen, theoretischen Zugänge und anwendungsorientierten Perspektiven zum Gegenstand des wissenschaftlichen Austausches und der wissenschaftlichen Forschung zu machen.

Die thematische KFIBS-Forschungsgruppe besteht infolgedessen aus Mitgliedern verschiedener Wissenschaftsdisziplinen wie der Politik-, Religions- und Islamwissenschaft sowie nicht zuletzt der Sozialen Arbeit. Sie ist auch im Hinblick auf Impulse aus weiteren Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften zur Begriffskonkretisierung und mit Blick auf potenzielle Lösungsansätze im Kontext von extremistischen und terroristischen Erscheinungsformen offen. Da sich die KFIBS-Forschungsgruppe „Extremismus/Terrorismus“ – im Sinne der Grundsätze des Vereins – insgesamt als „Solidargemeinschaft“ versteht, ist es ihr erklärtes Ziel, die unterschiedlichen Ansätze ihrer Mitglieder gleichgewichtig abzubilden und mögliche Synergieeffekte für Forschung und Praxis, etwa für die wissenschaftliche Politikberatung, sinnvoll zu nutzen. Demnach folgen die Arbeitsschwerpunkte der Forschungsgruppe den Präferenzen der Mitglieder und können bei Bedarf neu ausgerichtet bzw. neu definiert werden.

Die Arbeitsschwerpunkte der Forschungsgruppe „Extremismus/Terrorismus“ lauten wie folgt:

  • Islam und Islamismus (schiitische und sunnitische Ausprägungen)
  • Jihad (Konzept, ideologische Ausprägungen) und Jihadismus
  • Islamistische (Gewalt-)Gruppen (z. B. Al-Qaida, IS/Daesh, Al-Shabaab und Boko Haram)
  • Salafismus und Islamismus in Deutschland und Europa
  • Konversionsforschung und Radikalisierungsforschung
  • Extremismusprävention
  • Delinquenz und kriminogene Faktoren
  • Sozialpädagogische Intervention/Handlungsfähigkeit
  • Anschlussfähigkeit extremistischer Haltungen
  • Facetten der Ideologien des Rechtsextremismus
  • Sogenannte lone-actor attacks
  • Weltgesellschaftliche Konflikte und nichtstaatliche Gewaltakteure
  • Konstruktivistische Konfliktforschung und politische Soziologien in den internationalen Beziehungen (regionale Sicherheitsforschung)

Mitglieder der KFIBS-Forschungsgruppe sind:

Donja Ben Mcharek B.A., M.A.

Sarah-Shannon Binder B.A.

Simon Engelkes B.A., MA

Rebekka Frank, IHK-Zertifikat/1. juristisches Staatsexamen, B.A.

PD Dr. phil. Nina Käsehage (FG-Sprecherin)

Dr. phil. Mitra Moussa Nabo

Desirée Over B.A., Master-Studentin

Dr. phil. Marlon Possard, Habilitand

Kaiya M. Reisch B.A., M.A.

Linda Schlegel, BA, MA, Doktorandin

Michel Seibriger, BA, MA