Die Biden-Präsidentschaft und der Nuklearkonflikt mit dem Iran – zurück zu einer „Politik der ausgestreckten Hand“?

Porträt Lisa-Marie Geltinger
Lisa-Marie Geltinger

Am 20. Januar 2021 erfolgte die Amtseinführung des 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Joseph R. Biden, Jr. Die Zeit der Unberechenbarkeit sowie die teils willkürliche „Wrecking Ball“-Politik Trumps sind offenbar zumindest für die nächsten vier Jahre von der weltpolitischen Bühne verschwunden. Bereits am Tag seiner Inauguration unterzeichnete der neue US-Präsident Biden 17 Präsidialverordnungen (sog. Executive Orders). Die meisten davon setzten vorherige Trump-Beschlüsse größtenteils außer Kraft. Neben der Einführung eines bundesweiten Maskengebots, dem Wiedereintritt in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und in das Pariser Klimaabkommen hob Biden auch den sogenannten Muslim Travel Ban auf. Letzteres untersagte Menschen aus bestimmten muslimischen Ländern die Einreise in die USA. Diese Maßnahme kann immerhin als ein erster wichtiger Schritt in Richtung Wiederannäherung Washingtons an Teheran gewertet werden. Eine außenpolitische Priorität Bidens ist es auch, den USA eine Rückkehr zum „Joint Comprehensive Plan of Action“ (kurz: JCPOA) von „P5+1“ (nach dem unilateralen Ausstieg der USA nunmehr „P4+1“) und Iran zu ermöglichen. Den öffentlichen Bekundungen des neuen US-Präsidenten nach zu urteilen, scheint dieser somit die „Politik der ausgestreckten Hand“ seines Amtsvorgängers Barack H. Obama weitestgehend fortführen zu wollen. Doch was sind die Aussichten für den Wiedereintritt der USA in das „Wiener Atomabkommen“? Viel wichtiger noch: Reicht eine „bloße“ Rückkehr der USA zum JCPOA aus oder haben sich fünf Jahre nach Abschluss des Vertrages die Ausgangsbedingungen für die friedliche Beilegung des Nuklearkonfliktes zwischen Iran und der „P5+1“-Gruppe maßgeblich verändert?

Argumente für und Argumente gegen den JCPOA

Kompromisse im Sinne eines do ut des zählen gemeinhin zum Wesen der Diplomatie. Diesen Anforderungen kommt der JCPOA – abgeschlossen im Juli 2015 nach zwölf Jahren zäher Verhandlungen – zumindest in Fragen der nuklearen Rüstungskontrolle größtenteils nach. Das 150-seitige Vertragswerk stellt zwar keinen optimalen, aber wenigstens einen akzeptablen Lösungsansatz dar. Bereits zum Wahlkampfauftakt 2016 bezeichnete der spätere US-Präsident Donald J. Trump das Atomabkommen jedoch als „den schlechtesten Deal aller Zeiten“ und kündigte es schließlich im Präsidentenamt im Sommer 2018 kurzerhand unilateral auf. Die Gegner des Iran-Nukleardeals beziehen sich in ihrer Kritik überwiegend auf drei zentrale Pfeiler: Zum einen wird die kurze Laufzeit des Vertrages sowie der Ausschluss iranischer Raketensysteme moniert. Zum anderen werfen sie dem Iran vor, mit der finanziellen und militärischen Unterstützung lokaler Milizen (Hisbollah, Hamas u. a.), den „Geist“ des Abkommens verletzt und damit maßgeblich zur Instabilität im Nahen und Mittleren Osten beigetragen zu haben. Die Befürworter des „Wiener Atomabkommens“ hingegen sehen den größten Erfolg der internationalen Übereinkunft in der Entschärfung des Nuklearkonfliktes, womit zugleich und wenigstens zeitweise eine militärische Option gegen das iranische Atomprogramm vom Tisch zu sein schien. Die Zeichen für einen Wiedereintritt stehen zumindest derzeit nicht schlecht. So betonte auch der iranische Präsident Hassan Rohani erst kürzlich in einer Kabinettssitzung, dass er einer US-Rückkehr zum JCPOA offen gegenüberstehe. Der Ball, so betonte der iranische Präsident aber ausdrücklich, läge zurzeit im Feld der USA. Weitere Verhandlungen bzw. eine Rückkehr zum „Wiener Atomdeal“ könnten letztendlich auch an den Ambitionen der neuen US-Regierung, den Vertrag um weitere Themen der Rüstungskontrolle zu erweitern, scheitern. Im Zuge eines gegenseitigen „Gebens und Nehmens“ wird die zentrale Frage bei künftigen Verhandlungen sein, was für den Iran und was für die „P5+1“-Delegation als verhandelbar gilt und was nicht.

Lehren aus der Vergangenheit

Wollen die USA Zugeständnisse des Irans etwa hinsichtlich des Raketenprogramms oder regionaler Einmischungen erreichen, können sie wichtige Lehren aus der Vergangenheit ziehen: In den zwölf Jahren langwieriger Verhandlungsrunden mit dem Iran, die von Phasen der Annäherung und Konfrontation geprägt waren, hat die Obama-Administration mit Abschluss des JCPOA erstens gezeigt, dass grundsätzlich eine gemeinsame Lösung hinsichtlich nuklearer Rüstungskontrolle mit dem Iran möglich ist. Ob der Iran jedoch überhaupt willens ist, sein Raketenprogramm sowie seine regionalen Ambitionen zu verhandeln, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die Erfolgsaussichten dafür können aber als äußerst gering eingeschätzt werden, bedenkt man etwa das bis heute klare Festhalten des Obersten Religionsführers Ali Chamenei an seiner „roten Linie“, über Themen jenseits des Nuklearprogramms nicht einmal Gesprächen zuzustimmen. Erschwerend kommt hinzu, dass der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif erst kürzlich betonte, dass der Wiedereintritt in den JCPOA bereits dann gefährdet sei, wenn die USA gedenken, diesen an neue Bedingungen zu knüpfen bzw. neu zu verhandeln. Dies führt zur zweiten wichtigen Erkenntnis, nämlich dem Nutzen eines langsamen, schrittweisen und bedachten Vorgehens. Sollten die USA auf unrealisierbare Vorbedingungen bestehen, wie es im Rahmen des 12-Punkte-Plans des ehemaligen US-Außenministers Michael R. Pompeo der Fall war, wird dies höchstwahrscheinlich zum Ende des JCPOA und zur weiteren Zuspitzung des Nuklearkonfliktes führen. Daran, Teheran mit einer „Politik des maximalen Drucks“ zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, sind zuvor sowohl George W. Bush als auch Donald J. Trump gescheitert. Zudem darf nicht vergessen werden, dass Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) entschiedene Gegner des Iran-Nukleardeals sind und den USA eine Rückkehr zum bereits bestehenden Vertragswerk zusätzlich erschweren werden. So fordern sie, den Vorteil der wiederauferlegten unilateralen US-Sanktionen gegen den Iran für künftige Gespräche nutzen zu können, um das Regime in Teheran zu noch mehr Konzessionen zu bewegen. US-Präsident Biden muss daher nicht nur den Kongress der Vereinigten Staaten, sondern auch seine regionalen Partner von einer diplomatischen Lösung überzeugen.

Maßnahmen und Erfolgsaussichten für eine Rückkehr zum JCPOA

Für eine Entspannung der aktuell zugespitzten Lage zwischen Teheran und Washington gilt es als Erstes, Schritte der Deeskalation einzuleiten. Trumps Politik des „maximalen Drucks“ für weitere Konzessionen seitens des Irans zu nutzen, würde nicht nur die Glaubwürdigkeit der USA weiter beschädigen und einen zunehmenden Vertrauensverlust nach sich ziehen, sondern auch gleichzeitig das Risiko einer militärischen Eskalation weiter erhöhen. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sich Biden mehrmals entschieden gegen eine solche strategische Vorgehensweise ausgesprochen hat. Ein erster wichtiger Deeskalationsschritt war die Aufhebung des Muslim Travel Ban. Ein zentrales Schlüsselelement betrifft darüber hinaus die US-Sanktionspolitik. Das Sanktionsregime gegen den Iran ist hoch komplex, umfassend und wirkt zugleich sektorübergreifend. Für die Biden-Administration wäre es an dieser Stelle aber sinnvoll, zumindest die Sanktionen aufzuheben, die dem Iran den Zugang zu humanitären Hilfen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie versperren. Im Gegenzug müsste sich der Iran jedoch dazu bereit erklären, seinen Verpflichtungen gemäß den Vertragsauflagen des JCPOA wieder vollständig nachzukommen. Außerdem erscheint es zweckmäßig, einen Weg zu finden, künftigen Vertragsverletzungen vorzubeugen. Neben dem „Snap Back“-Mechanismus, der bei Vertragsbrüchen seitens des Irans die Wiedereinsetzung aller vorherigen Sanktionen vorsieht, ist im JCPOA ein unilateraler Ausstieg seitens einer der „P5+1“-Vertragsparteien nicht geregelt. Die Einführung einer Exit- bzw. Wiedereintrittsklausel könnte hier Abhilfe schaffen. Sollten diese ersten Deeskalationsmaßnahmen erfolgreich sein, können womöglich parallel zu den Nuklearverhandlungen diplomatische Schritte eingeleitet werden, die auch die regionalen Aktivitäten des Irans in den Blick nehmen. Insbesondere die USA sollten sich aber vorab darüber klar werden, welche Rolle sie künftig in der Region noch spielen wollen. Hier gilt es, strategisch zu eruieren, wie sich langfristig die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA gestalten sollen. Im Rahmen weiterführender diplomatischer Gespräche mit dem Iran sollten darüber hinaus auch die regionalen Partner wie Saudi-Arabien, Israel und die VAE mit einbezogen werden.

Von Lisa-Marie Geltinger

(Hinweis: Der vorliegende Blog-Beitrag gibt nicht zwingend die Meinung des KFIBS e. V. wieder.)

 

(Bildnachweis für Beitragsbild: Photo by Gayatri Malhotra on Unsplash)

Familiar Wine in New Bottles: What Security and Transatlantic Agenda to Expect from a Biden Presidency

Porträt Dr. Aylin Matlé
Dr. Aylin Matlé

The way many commentators and politicians in the political West are hailing the 2020 Democratic presidential nominee in the U.S.’s bid for the White House, Joe Biden, reminds one of similar praises in 2008. Back then, the Democrat’s name on the presidential ballot was Barack Obama – the promises of salvation after eight years of President George W. Bush at the helm of the United States were akin to the hopes especially European’s are pinning on a Biden administration in the election year of 2020. A reality check of these overblown hopes and expectations is in order lest European allies are disillusioned by what they are actually in for. While it does not come as a surprise that Biden’s elaborations about his possible foreign and security agenda bear heavy similarities to Obama, who he served as Vice President for eight years, an arch of continuity between the incumbent Donald Trump and his Democratic challenger cannot be ignored.

Factors Uniting, Factors Dividing Trump and Biden

For the sake of clarity, outlining the features uniting the first Trump and a possible Biden administration ought to be divided between a strategic and a policy level. Irrespective of their starkly differing modes of communication as well as divergent narratives to justify their (prospective) actions, both have in common that they want and in Trump’s case have striven for a relative U.S. retreat from the world stage. The current U.S. president has made clear from the beginning of his time in the Oval Office (as a matter of fact much earlier than even running for president) that he views the system of alliances and international organizations mainly predominantly established by the United States after World War II as disadvantages to Washington. According to Trump, the United States have been exploited by their allies and partners for decades. Thus, he concludes, Washington ought to stop picking up the (financial) slack pertaining to the provision of security for countries that have long been in a position to defend themselves. This argument is directed primarily though not exclusively at European allies. Biden arrives at a similar conclusion, i.e. that allies and partners ought to contribute more to (transatlantic) burden-sharing – a demand, by the way, that has been voiced even prior to the erection of NATO. Not least of all, the president he served, Barack Obama, left office voicing his dissatisfaction with European allies’ free-riding attitudes and actions, specifically in connection with their performance during NATO’s air campaign over Libya in 2011. Parsing Biden’s comments on his administration’s prospective foreign and security guidelines, his is an agenda steeped in multilateral thinking. Striving to shift some of the U.S.’s current responsibilities to allies and partners is akin to Trump’s demands in terms of burden-sharing – at least in spirit. Examining the current administration’s policy level, one can arrive at the conclusion that Biden’s aspirations are not far off from what Trump has been working towards during the past four years. From a relative retreat from the Middle East – already begun during the Obama administration – through to a tough stance on China, Biden’s hitherto know foreign and security policy objectives resemble those the current U.S. administration has been implementing. The outlined similarities on a strategic as well as policy level should not belie differences separating Trump and his challenger though. The most obvious contrast between the two relates to their respective modes of communication and rhetoric: While the current U.S. president notoriously speaks (or rather tweets) like an elephant in a china shop, Biden masters the art of diplomatic and thus respectful parlance. His decades of experience in the public sphere and eye have trained him in striking the right chord when dealing with friends and allies without shying away from being blunt. While some might discount the significance of a politician’s rhetoric by pointing out that actions speak louder than words, the nature of one’s communication should be taken into consideration – especially in the context of a decades-old alliance such as NATO. After all, communicating openly and in a responsible fashion with one’s allies instead of blurting out unilateral decisions without prior consultation instills trust and reliability on part of partner nations. Especially in the context of NATO’s deterrence and defense posture, the importance of credibility should not be underestimated. Constantly questioning the purpose and make-up of the Atlantic Alliance while hailing NATO’s opponents in public as Trump has been doing since his first election campaign in 2016, diminishes the U.S.’s credibility as a reliable partner. The very opponents Trump praises – including Russia’s Putin – are watching him essentially doing their biding, i.e. driving a wedge into NATO. In so doing, the current U.S. president is providing friends and foes alike with doubt about whether or not Washington would come to an ally’s aid if push came to shove.

What a Biden Presidency Will Likely Deliver – and What Not

A Biden presidency surely would be able to and interested in calming down tensions that Trump has been given rise to in transatlantic relations during his first tenure. Treating allies as allies and not foes would certainly help American partners on the other side of the Atlantic to regain trust in Washington’s reliability – equally, opponents of NATO might stop doubting the U.S.’s steadfastness, too. That being said, European allies should not expect a Biden administration to lead the partnership back to the status quo ante – whatever exactly that is supposed to mean anyhow in light of Barack Obama’s scolding of allies. While it is safe to assume that under a Biden presidency, the transatlantic relationship would be instilled with a semblance of normalcy once more, the overarching trend of the United States being less interested in assuming the role of a policeman regionally as well as globally is very unlikely. Instead, it can be expected that Biden will continue what Obamas has started and Trump has perpetuated in deeds if not in words. It is understandable that European allies are yearning for more stability and predictably which Biden surely would deliver. Yet, they should not expect the dawn of an age in which they can continue to take a back seat in sharing the transatlantic burden.

By Dr. Aylin Matlé

(Hinweis: Der vorliegende Blog-Beitrag gibt nicht zwingend die Meinung des KFIBS e. V. wieder.)

 

(Bildnachweis für Beitragsbild: Photo by visuals on Unsplash)

Keine „Normalität“ in Sicht: Gründe, weshalb die transatlantischen Spannungen weiter zunehmen werden – mit oder ohne Trump

Porträt Anna Hardage
Anna Hardage

Die Ausgangssituation

Immer wieder beschuldigen die Europäer den US-Präsidenten Donald J. Trump für Missstände in den transatlantischen Beziehungen. Seine politischen Richtlinien, sein Kommunikationsstil und sein persönliches Temperament kommen in Europa nicht gut an, was dazu geführt hat, dass eine intensive Debatte über die außenpolitische Ausrichtung der USA und über die damit verbundenen Folgen für die internationale Politik ausgelöst wurde. „America first“, sein politisches Leitmotiv, das die Gesamtheit seiner Außenpolitik bislang prägt, löst Ungewissheit und Unsicherheit in den transatlantischen Beziehungen aus. Auf beiden Seiten des Atlantiks wird erneut über die „Krise der transatlantischen Beziehungen“ und über die „Krise des Westens“ diskutiert.

Wo die Europäer richtig- und wo sie falschliegen

Die Europäer liegen nicht ganz daneben: Präsident Trump bleibt seiner Wählerschaft treu mit dem Aufkündigen oder der Neuverhandlung internationaler Vereinbarungen, welche – aus Sicht seiner Regierung – der US-Wirtschaft schaden. Dies stellt allerdings die von den USA etablierte liberale Weltordnung auf den Kopf und verursacht neue Interessenkonflikte zwischen den USA und der Europäischen Union (EU). Die US-Regierung verfolgt eine eher protektionistisch geprägte Außenpolitik (was im Übrigen in der Tradition amerikanischer Außenpolitik häufig vorkommt) – und die EU versucht, mit anderen globalen Partnern zu retten, was noch an internationalen Verträgen zu retten ist. Ein Beispiel ist das Atomabkommen mit dem Iran, aus welchem Trump im Jahr 2018 ausgetreten ist. Die jüngsten Spannungen am Persischen Golf zwischen den USA und der Islamischen Republik Iran verstärken die ohnehin schon vorhandene Belastung zwischen den transatlantischen Partnern zusätzlich. Die EU wird in eine verzwickte Lage gebracht, da sie versucht, die Beziehungen zu beiden Akteuren aufrechtzuerhalten und die Gültigkeit des Abkommens zu bewahren.

Dabei liegen die Europäer mit ihrer Einschätzung der Situation nicht ganz richtig: Spannungen in den transatlantischen Beziehungen gehen weiter zurück als das Jahr 2017. Und obwohl das Wahlergebnis von 2016 zweifelsohne eine deutliche Zäsur darstellt, sind einige Streitfragen bereits vor Jahrzehnten in den Vordergrund gerückt. Divergente Politikvorstellungen und militärische Vorgehensweisen auf beiden Seiten des Atlantiks riefen beispielsweise eine heftige Auseinandersetzung zwischen den transatlantischen Partnern hervor, wenn man den Irakkrieg 2003 in Betracht zieht – und das unter dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Unter Präsident Barack H. Obama waren hingegen vor allem Verteidigungsausgaben der große Streitpunkt. Nun hoffen die Europäer auf eine Rückkehr zum „Normalbetrieb“ nach der US-Präsidentschaftswahl 2020 – für den Fall, dass Trump nicht wiedergewählt wird. Aber was ist schon der „Normalbetrieb“? Und wann soll dieser jemals existiert haben? Ein neuer amerikanischer Präsident würde wahrscheinlich die Spannungen mildern, ob durch mehr Engagement in der NATO oder mithilfe neuer Denkanstöße in der Klimapolitik und Diplomatie. Allerdings existieren dabei einige zugrunde liegende Probleme, die ohne korrektive Maßnahmen, Dialog und Diskurs die transatlantischen Beziehungen weiter belasten würden, egal wer letztlich im „Oval Office“ des Weißen Hauses sitzt.

Zankapfel Verteidigungsausgaben im Nordatlantikpakt

Das Thema „Verteidigung“ ist schon immer kontrovers im transatlantischen Kontext gewesen, deshalb auch die bereits erwähnte Debatte über die Verteidigungsausgaben im Rahmen der NATO. Die Auseinandersetzung erreichte einen ihrer Höhepunkte in Obamas Amtszeit, als der ehemalige US-Präsident kommentierte: „Free riders aggravate me.“ Donald Trump verschärfte die Spannungen erneut, als er meinte, dass die NATO „obsolet“ sei. Obwohl die europäischen NATO-Partner langsam ihren finanziellen Beitrag steigern, ist die Summe nicht annährend so hoch wie die US-Ausgaben. Dabei geht es nicht nur um die so oft zitierten „zwei Prozent“ vom Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung, welche die meisten europäischen NATO-Staaten ohnehin nicht ausgeben, sondern auch um Militärgüter wie z. B. Satelliten oder Transportkapazitäten, die ausschließlich die USA in ausreichendem Maße der Atlantischen Allianz zur Verfügung stellen. Für die Europäer ist es wichtig zu wissen, dass es nach wie vor im Interesse der USA liegt, in der NATO zu bleiben, und dass Trump allein nicht aus dem Bündnis austreten kann. Er bräuchte die Unterstützung der amerikanischen Legislative, die eindeutig für die NATO ist (s. NATO Support Act; Congressional Record Vol. 165, No. 13, House of Representatives – January 22, 2019, abrufbar unter: https://www.congress.gov/congressional-record/2019/1/22/house-section/article/h976-1?q=%7B%22search%22%3A%5B%22NATO%22%5D%7D&s=4&r=1). Es geht den Amerikanern lediglich darum, dass die europäischen Partner ihren Beitrag leisten, insbesondere dann, wenn es sich um ihre eigene Sicherheit handelt. Eine Diskussion mit allen Beteiligten über die Zukunft der Allianz ist dringend notwendig, wenn das Bündnis weiterhin funktionsfähig bleiben soll.

Richtiger Umgang mit China und alternatives europäisches Denken

Ferner steht die Frage, wie die NATO-Partner mit China umzugehen haben auch noch im Mittelpunkt des transatlantischen Diskurses. Die Volksrepublik China hat sich wirtschaftlich wie politisch zu einer großen Herausforderung für Europa und die USA entwickelt. China etabliert ein sehr mächtiges Gegenmodell zum „Westen“ bzw. zu westlichen Werten wie Demokratie, Weltoffenheit und Rechtsstaatlichkeit. Das Land gilt aus Sicht der USA und in geringerem Maße aus EU-Perspektive inzwischen als eine der größten Gefahren auf wirtschaftlichem Gebiet. In der Nationalen Sicherheitsstrategie der US-Regierung firmiert China seit 2017 als „long-term strategic competitor“, und laut der EU-Kommission gilt China als „Systemrivale“. In der Londoner Erklärung der NATO vom Dezember 2019 wurde von den Herausforderungen, aber auch von den Chancen gesprochen, die sich aus Chinas Einfluss und der internationalen Politik Chinas ergeben. Die USA und die EU müssen zusammenarbeiten und mit einem gemeinsamen Plan agieren, um die negativen Auswirkungen der Politik Chinas effektiv einzudämmen, sodass die liberale Weltordnung nicht länger untergraben wird.

Der letzte Punkt ist der Vertrauensverlust: Selbst wenn „Normalität“ zurückkehrt und die Beziehungen relativ stabil sind, wissen die Europäer nur zu gut, dass alles vom nachfolgenden amerikanischen Präsidenten wieder rückgängig gemacht werden könnte. Die USA sind weniger stark als noch im 20. Jahrhundert und weniger einflussreich. Die EU kann sich ihrerseits auf andere Partner verlassen und damit ihre Abhängigkeit von der US-Regierung reduzieren.

Was getan werden könnte

Die zuvor erwähnte Diskussion um die „Krise der transatlantischen Beziehungen“ ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um die aktuellen Probleme noch besser zu verstehen. Und zu behaupten, Trump sei die Ursache der Probleme, wäre ein Irrtum – er ist vielmehr das Ergebnis. Ökonomisch betrachtet könnten die Partner einen Freihandelsvertrag unterschreiben (verbunden mit einem gemeinsamen China-Plan), um globale Standards aufrechtzuerhalten. Politisch und militärisch betrachtet wären gemeinsame Strategien für bestimmte Regionen oder Staaten wie Russland oder Syrien von Vorteil. Am wichtigsten ist, dass beide Partner die Kooperation aufrechterhalten möchten – und der Dialog weiterhin bestehen bleibt, egal wer im „Oval Office“ sitzt. Die Bereitschaft, mit Trump – trotz aller Dissonanzen – zusammenzuarbeiten und nicht bloß bis zur US-Wahl 2020 auf einen möglichen Machtwechsel zu warten, muss unbedingt vorhanden sein. Diese Zeit kann sogar als Chance betrachtet werden, das transatlantische Verhältnis neu zu bestimmen.

Von Anna Hardage

(Hinweis: Der vorliegende Blog-Beitrag gibt nicht zwingend die Meinung des KFIBS e. V. wieder.)

 

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Joe Bidens Obama-Bonus – und zugleich auch Obama-Malus?

Porträt Maximilian Muhl
Maximilian Muhl

Offiziell ist Joseph R. „Joe“ Biden, Jr. noch nicht der nominierte Kandidat der US-Demokraten, der bei der anstehenden Präsidentschaftswahl am 3. November 2020 gegen Amtsinhaber Donald J. Trump antreten wird. Seit dem Rückzug von Bernard „Bernie“ Sanders aus dem Vorwahlkampf der Partei gibt es jedoch nur noch Biden als Kandidaten, sodass er als sicherer Herausforderer Trumps angesehen werden kann. Es ist bereits sein dritter Anlauf nach 1988 und 2008, US-Präsident zu werden.

Während Sanders als Favorit unter jungen Demokraten und Latinos galt, spricht Biden andere Wählergruppen an: Er wird als Vertreter des Washingtoner Establishments und der etablierten Politik der Demokraten wahrgenommen. Auch er spricht aber eine ethnische Wählergruppe besonders an: die afroamerikanischen Demokraten. Seinen Vorsprung in den demokratischen Vorwahlen gegenüber dem anderen Bewerberfeld um die Präsidentschaftskandidatur verdankt er u. a. eben dieser Gruppe, wie er selbst sagt: „There’s only one reason I’ve come back. The African American Community all around the country.“ (Biden zit. nach McGhee, 2020)

Während mehrere afroamerikanische Politikerinnen und Politiker wie Cory A. Booker in den US-Vorwahlen 2020 antraten, um Kandidatin oder Kandidat der Demokratischen Partei zu werden, erhielt Biden den Zuspruch der afroamerikanischen Gemeinschaft. Denn er repräsentiert die genannte Wählergruppe nicht nur deskriptiv, sondern auch substanziell. Diese Repräsentation und die daraus resultierende Beliebtheit entspringen einem entscheidenden Faktor, nämlich Bidens Verbindung zu Ex-Präsident Barack H. Obama.

Der Obama-Bonus

Dass Biden als 47. Vizepräsident der Vereinigten Staaten unter Barack Obama gedient hat, brachte ihm bei den demokratischen Vorwahlen 2020 einen gewichtigen Vorteil. Afroamerikanische US-Bürgerinnen und US-Bürger sehen in Bidens Vizepräsidentschaft, dass er sich einem politisch weniger erfahrenen und zudem noch jüngeren afroamerikanischen Politiker untergeordnet hat und das ganze acht Jahre lang. Diese Demut verschafft dem 77-Jährigen Respekt und vor allem Vertrauen in dieser ethnischen Gruppe. Sie erkennt, dass man sich auf Biden als Partner einer spezifischen Agenda verlassen kann und er sich dieser Agenda auch tatsächlich unterordnet. Kurzum: Afroamerikanische Demokraten sind loyal gegenüber Biden. Sie wollen, dass er Obamas Politik weiterführt und ihnen wieder diejenige politische Stimme gibt, die sie unter Trumps Amtsvorgänger genossen hatten und die ihnen historisch betrachtet lange verwehrt blieb. Seine Position in diesem Sinne wird durch die offizielle Unterstützung seiner Kandidatur durch Obama noch gestärkt.

Der Obama-Malus

Die Präsidentschaft Obamas kann jedoch auch als Nachteil Bidens ausgelegt werden; denn die dunkelhäutigen Wählerinnen und Wähler sind keineswegs als homogene Wählergruppe zu betrachten. Junge afroamerikanische Demokraten präferierten Sanders, was sich mit Obamas Wahlsiegen erklären lässt: Heutige junge Wählerinnen und Wähler haben diese als erste Wahlen wahrgenommen oder an ihnen teilgenommen. An Obamas überraschendem Sieg im Jahr 2008 konnten sie sehen, dass ein echter Wandel möglich ist und auch Kandidaten, die nicht die Unterstützung des Partei-Establishments genießen, gewinnen können. In Sanders sahen sie nun – im Gegensatz zu Biden – denjenigen Kandidaten, der Wandel und Hoffnung gleichermaßen verkörpert. Ihre Unterstützung für Joe Biden in der diesjährigen US-Präsidentschaftswahl erscheint somit zumindest zweifelhaft, da er das Washingtoner Establishment verkörpert.

Im November wird sich folglich zeigen, ob Barack Obama seinem engsten Weggefährten Joe Biden zum Wahlsieg verhelfen kann.

Von Maximilian Muhl

(Hinweis: Der vorliegende Blog-Beitrag gibt nicht zwingend die Meinung des KFIBS e. V. wieder.)

 

(Bildnachweis für Beitragsbild: Photo by visuals on Unsplash)