Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion und die einst in ihrem Herrschaftsbereich liegenden Staaten Osteuropas haben in den letzten 30 Jahren unterschiedliche Transformationsprozesse durchlaufen. Für viele osteuropäische Länder bestand die Chance zur Entwicklung stabiler Demokratien und Rechtsstaaten mit funktionierenden Marktwirtschaften und zum Beitritt zur Europäischen Union (EU) und zur North Atlantic Treaty Organization (NATO). In den Kaukasusrepubliken und in Zentralasien entstanden hingegen neue autokratische Strukturen. Russland ist für alle Staaten dieser Region aus historischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen ein wichtiger Bezugspunkt bis heute geblieben. Die Beziehungen Russlands zum Westen haben sich nicht so hoffnungsvoll entwickelt, wie dies nach dem Ende des Ost-West-Konflikts anzunehmen war. Nachdem die innere Entwicklung Russlands unter der Präsidentschaft Boris Jelzins von vielen Beobachtern eher als „demokratisch“ charakterisiert wurde, nahm das Land unter seinem Nachfolger Wladimir Putin eine Entwicklung in Richtung Autoritarismus. Die Erweiterung der EU und der NATO wurde in Russland überwiegend als Fortsetzung der Containment-Politik des Westens interpretiert. Eine Reaktion darauf war u. a. die Bildung der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU). Russlands Außenpolitik ist in den letzten Jahren zunehmend aggressiver geworden. Die Regierung in Moskau versucht, mit Mitteln der hybriden Kriegsführung u. a. die EU und die USA zu spalten. Dazu werden ganz bewusst Kontakte zu EU-kritischen Parteien des Westens gesucht, Wahlkämpfe beeinflusst, Falschmeldungen (sog. Fake News) über soziale Medien verbreitet und Minderheiten instrumentalisiert. Die Krise zwischen Russland und dem Westen eskalierte im Jahr 2014, nachdem der russlandfreundliche ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch das EU-Assoziierungsabkommen aussetzte und vom ukrainischen Parlament seines Amtes enthoben wurde. Russland annektierte daraufhin – völkerrechtswidrig – die ukrainische Halbinsel Krim und unterstützt seitdem separatistische Bewegungen in der Ostukraine.
Zudem haben sich in der Region weitere Konflikte entwickelt. In vielen osteuropäischen Staaten stehen eher EU-kritische Regierungen an der Spitze des Landes, die Ausdruck einer Art autokratischer Gegenbewegung sind. Gegen Polen und Ungarn hat die EU deshalb Verfahren wegen Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet. Im Kaukasus hat sich Georgien zu einem prowestlichen Land entwickelt, das ebenso wie die Ukraine der EU und der NATO beitreten möchte. Armenien und Aserbaidschan schieben sich gegenseitig die Schuld an der Auseinandersetzung rund um die Region Bergkarabach zu – ein Konfliktherd von mehreren sogenannten eingefrorenen Konflikten (frozen conflicts), auf die Russland Einfluss nimmt. Die zentralasiatischen Staaten sind mittlerweile aus dem Blickfeld Europas und des Westens gerückt; dabei sind sie ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Seidenstraßen-Initiative. Radikalisierte Muslime und Rückkehrer aus den Reihen des sogenannten Islamischen Staates (IS) drohen Zentralasien zu destabilisieren. Diese Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen für Europa. Eine für Europa ebenfalls gefährliche Entwicklung besteht in dem fehlenden Dialog über Abrüstung und Rüstungskontrolle, nachdem der ABM-Vertrag, der KSE-Vertrag sowie der INF-Vertrag aufgekündigt oder ausgesetzt wurden.
Die KFIBS-Forschungsgruppe „Osteuropa/Kaukasus/Zentralasien“ widmet sich mit wissenschaftlichen Analysen und politikberatenden Ansätzen dieser außerordentlich heterogenen Region. Eine Studie mit Empfehlungen für eine „vorausschauende Außenpolitik“ Deutschlands in der Region wurde bereits abgeschlossen. Zukünftige Projekte der regionalen KFIBS-Forschungsgruppe werden sich der Rolle Russlands, der Entwicklung Zentralasiens und des Kaukasus sowie Osteuropas widmen. Dabei werden Fragen der Sicherheitspolitik, der Wirtschafts- und Energiebeziehungen sowie der politischen Gestaltungsmöglichkeiten in der Region von zentraler Bedeutung sein.
Die Arbeitsschwerpunkte der Forschungsgruppe „Osteuropa/Kaukasus/Zentralasien“ lauten wie folgt:
- Politische und wirtschaftliche Transformationsprozesse im postsowjetischen Raum und in Osteuropa
- Das Verhältnis Russlands zum Westen, insbesondere zur EU, zur NATO und zu den USA
- Der Russland-Ukraine-Konflikt
- „Eingefrorene Konflikte“ im postsowjetischen Raum
- Ethnische und religiöse Konflikte, vor allem im Kaukasus und in Zentralasien
- Sicherheitspolitische sowie wirtschafts- und energiepolitische Studien zur „vorausschauenden Außenpolitik“ mit Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungsträger(innen)
- Rüstung, Rüstungskontrolle und Abrüstung
- Länderanalysen einschließlich innenpolitischer Entwicklungen und deren Wirkung auf das staatliche Außenverhalten
Zukünftige, laufende und abgeschlossene Projekte der KFIBS-Forschungsgruppe:
- Ab 2022: Projekt zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und Konfliktforschung im postsowjetischen Raum
- Ab 2021: Projekt zu Demokratisierungsprozessen in der Östlichen Partnerschaft (ÖP) der EU
- 17. Februar 2020 (Mo.): Veröffentlichung der KFIBS-Forschungsgruppenstudie „Deutschland und seine östlichen Nachbarn: Eine Studie zur Gestaltung einer ‚vorausschauenden Außenpolitik‘“ (s. dazu unter: https://shop.budrich-academic.de/produkt/deutschland-und-seine-oestlichen-nachbarn/?v=3a52f3c22ed6) im Verlag Barbara Budrich (Budrich UniPress als Imprint des Verlages), herausgegeben von Dipl.-Pol. Jan Menzer (FG-Sprecher); ein sogenannter Waschzettel zu Informationszwecken ist abrufbar unter folgendem Link: https://shop.budrich-academic.de/wp-content/uploads/2019/01/807-menzer.pdf
Offizieller Kooperationspartner der KFIBS-Forschungsgruppe:
Die regionale Forschungsgruppe „Osteuropa/Kaukasus/Zentralasien“ (FG 4) ist im Zuge der fortschreitenden Internationalisierung des KFIBS e. V. eine Kooperation mit dem Minsk Dialogue Council on International Relations (s. unter: http://minskdialogue.by/en) eingegangen. Belarus ist aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre von großem Interesse für Deutschland und Europa. So hat das Land beispielsweise aufgrund seiner multivektoriellen Außenpolitik eine Vermittlerrolle im Russland-Ukraine-Konflikt eingenommen.
28. Februar 2022: Zwei Stimmen aus der KFIBS-Forschungsgruppe „Osteuropa/Kaukasus/Zentralasien“, die zum aktuellen Geschehen in der Ukraine und zum Konflikt mit Russland Stellung nehmen.
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„Der Angriff auf die Ukraine hat gezeigt, wie wenig wir von Russland tatsächlich verstehen. Die Ukraine-Krise erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaft. Es ist höchste Zeit, mehr in die Forschung zu investieren, die sich mit dem postsowjetischen Raum aus einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Perspektive beschäftigt.“
Dr. rer. pol. Alexandra Okhrimenko, Mitglied und Autorin der regionalen KFIBS-Forschungsgruppe
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„Es ist richtig, dass die NATO mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine den Schutz ihrer Mitgliedstaaten an der Ostgrenze intensiviert. Dieser Konflikt ist jedoch vor allem ein europäischer Konflikt. Gebietsansprüche gibt es aber auch in anderen Teilen der Welt. Wenn China demnächst versuchen sollte, Taiwan einzunehmen, dann könnten die Kräfte der USA schnell in anderen Teilen der Welt gebunden werden. Die EU muss ihre militärische Komponente stärken: Eine europäische Eingreiftruppe hat nicht mehr Zeit bis zum Jahr 2030!“
Dipl.-Pol. Jan Menzer, Doktorand, Sprecher, Mitglied und Autor der regionalen KFIBS-Forschungsgruppe
Mitglieder der KFIBS-Forschungsgruppe sind:
Dimitri Beder B.A., Master-Student
Paul Emtsev B.A., MA, Magister
Dipl.-Pol. Jan Menzer, Doktorand (FG-Sprecher)