Machtkampf im Sudan – ein Überblick

Jona F. Thiel

Als am 15. April 2023 mehrere Soldaten ein Armeelager der sudanesischen Streitkräfte in der Hauptstadt Khartum angriffen, war den meisten internationalen Beobachtern das Ausmaß jener Handlung noch nicht bewusst. Innerhalb kürzester Zeit wurden Gefechte an wichtigen strategischen Knotenpunkten, wie z. B. dem Flughafen nahe Khartum oder der Militärbasis in Merowe, gemeldet. Die Angreifer konnten in den folgenden Wochen einen Teil ihrer Ziele erreichen und kontrollieren aktuell einen Streifen, welcher sich vom Südwesten bis in die Hauptstadt, das Zentrum des Landes, erstreckt. In dieser konzentrieren sich die militärischen Kontingente der beteiligten Konfliktparteien, weshalb Khartum auch als hot zone[1] bezeichnet werden kann. Etwa 60 Prozent der politisch-militärischen Kampfhandlungen finden in oder um Khartum statt (vgl. ACLED 2023). Doch wer sind eigentlich die besagten Konfliktparteien?

Die Akteure: Mohammed Hamdan Daglo, 50 Jahre alt und General der paramilitärischen Einheit Rapid Support Forces (RSF). Ferner Abdel Fattah Burhan, 63 Jahre alt, ebenfalls General und De-facto-Regierungschef des Sudans. Eigentlich war es an diesen beiden Männern, den Sudan, welcher sich seit den Militärputschen von 2019 und 2021 in einem Zustand der politischen Instabilität befindet, zu stützen und eine Zivilregierung zu ermöglichen. Dabei war es Burhan gewesen, der in seiner Rolle als General zuletzt im Jahr 2021 die Regierung gestürzt und sich dann selbst an die Spitze gestellt hatte.

Wie das United States Institute of Peace (USIP) in Washington, D.C. ermittelt hat, haben sich beide Akteure schon vor der eigentlichen Eskalation auf heftige Kämpfe vorbereitet. So sind Verlegungen von Truppen und von schwerem Kriegsgerät in den Wochen zuvor ausreichend dokumentiert (vgl. Stigant 2023: 2). Dabei verhält es sich bei der Einordnung der RSF juristisch und politisch anders, als dies bei gegen die Regierung gerichteten Konflikten innerhalb Ostafrikas meist der Fall ist. Bei den RSF, die – laut der internationalen Nachrichtenagentur „Reuters“ – eine geschätzte Truppenstärke von bis zu 100.000 Kämpfern aufweisen, handelt es sich nicht um eine Rebellengruppierung im herkömmlichen Sinne. Sie sind vielmehr ein inoffizieller Teil des militärischen Machtapparates des Sudans und wurden bereits im seit 2015 währenden Jemen-Krieg, beim Militärputsch 2019 im eigenen Land sowie im zweiten Bürgerkrieg in Libyen im Jahr 2014 eingesetzt.

An diesem inoffiziellen Status der RSF sollte sich – nach dem Willen Burhans – etwas ändern: Die Paramilitärs sollten in die regulären sudanesischen Streitkräfte integriert werden. Gleichzeitig kühlte sich das Verhältnis zwischen Daglo und Burhan deutlich ab. Beide besetzten die führenden Ämter der Übergangsregierung, welche in den vergangenen Monaten zunehmend zu einer klassischen Militärjunta umgebaut wurde.

Der Verlust an menschlichem Leben im Zuge des Konfliktes ist gegenwärtig schwer zu beziffern. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von 700 Toten und 5.300 Verletzten (vgl. UN 2023). Dabei handelt es sich hierbei um bestätigte Fälle, die sich auf den Zeitraum zwischen dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung am 15. April und dem 14. Mai 2023 beziehen. Die Nichtregierungsorganisation Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) schätzt die Anzahl der durch den Konflikt gewaltsam umgekommenen Personen sogar auf 1.800 (vgl. ACLED 2023). Wenn von letzteren Zahlen ausgegangen wird, würden etwa 39 Menschen pro Tag infolge von gewalttätigen Aktivitäten im Kontext des Konfliktes sterben.

Sämtliche Staaten der Region verfolgen aufmerksam die Entwicklungen im Sudan. Jede Regierung hat ihre eigenen nationalen Interessen, welche durch vermeintliche militärische Unterstützung gewahrt werden sollen. Zum einen nimmt Ägypten als direktes Nachbarland eine undurchsichtige Rolle in dem Konflikt ein. Während die RSF anfangs Beschuss durch die ägyptische Luftwaffe meldeten, kursierten in namhaften Zeitungen, wie z. B. dem Wall Street Journal (WSJ), Berichte über ägyptische Luftunterstützung und die Ausbildung von Piloten der sudanesischen Zentralregierung. Zum anderen wirft die ostlybische Regierung ihren Hut in den Ring, indem De-facto-Regierungschef Khalifa Haftar die RSF mit Militärgütern versorgt. Diese Vorwürfe wurden von libyscher Seite jedoch bestritten – und das Ausmaß der Lieferungen ist unbekannt. Zuletzt ist noch die Söldnertruppe „Wagner“ zu nennen: Zwar haben sowohl die RSF als auch die „Gruppe Wagner“ eine gegenseitige Unterstützung dementiert; doch ist bekannt, das beide Gruppierungen vor Beginn des Konfliktes gemeinsam Geschäfte machten. Genauer gesagt soll es sich u. a. um Luftabwehrraketen handeln, die zur Aufrüstung der Paramilitärs genutzt worden sein sollen.

In Anbetracht des Ausbleibens eines schnellen militärischen Sieges einer der beiden Parteien ist die Aussicht auf eine baldige Beendigung des Konfliktes eher düster. Daglo und Burhan schätzen ihre Zukunftsaussichten positiv ein. Und bevor sich an diesem Umstand nichts ändert, werden die Kampfhandlungen weiterhin anhalten. Erst wenn für eine Seite abzusehen ist, dass sie durch die Fortführung der Gefechte mehr verlieren als gewinnen kann, scheint ein langfristiger Waffenstillstand überhaupt erst denkbar zu sein. In diesem Fall ist es besonders wichtig, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Frieden bedeutet nicht zugleich Befriedung. Die ausgehobenen Gräben zwischen der sudanesischen Regierung und den RSF werden auch nach dem Konflikt schwer zu schließen sein.

Von Jona F. Thiel

Literaturverzeichnis

[1] Zur Erklärung des Begriffs: Eine hot zone umschreibt in Bezug auf militärische Konflikte einen Bereich, in dem die Gefahr für die Zivilbevölkerung wie auch für beteiligte Streitkräfte durch Angriffe, Kreuzfeuer oder Ähnliches besonders hoch ist.

(Hinweis: Der vorliegende Blog-Beitrag gibt nicht zwingend die Meinung des KFIBS e. V. wieder.)

(Bildnachweis für das obere Beitragsbild: Flagge der Afrikanischen Union [AU], AU-Website abrufbar unter: https://au.int)

 

Bild:

Sudanesischer Putsch

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